Struktur als Schlüsselhandlungen zum Erfolg

Der Steigerungslauf ist die Mutter aller Übungen. Mit ihr kann die Stimmungslage des Hundes perfekt kalibriert werden.

Der Turnierhundsport wurde als Hundesport für alle konzeptioniert. In meinen Seminaren sage ich immer, dass der THS eine sehr einfach zu erlernende Sportart ist – wenn man die richtigen Kniffe ansetzt. Versteht der Hund Tempowechsel (also schnell und langsam) und Richtungswechsel (Bewegung nach links und nach rechts), wird er steuerbar. Sobald er steuerbar ist, sind die Anforderungen in den Laufdisziplinen bis zur höchsten Prüfungsstufe (VK 3) in 90 % aller Fälle keine Herausforderung mehr.

Besteht bei einem Team eine gute Bindung, das idealerweise in den Junghundegruppen aufgebaut wird, braucht es nicht mehr als ein halbes Jahr Training, um den ersten Wettkampf erfolgreich zu meistern. Trotzdem liegen zwischen Desaster und Erfolg (oder auch umgekehrt) manchmal nicht mehr als ein paar Steigerungsläufe. Wie schnell das geschehen kann, will ich an einem Beispiel aus meiner Trainingsgruppe erläutern:

Ein Anfängerteam startete bei seinem zweiten Wettkampf mit 57 Punkte im Gehorsam. Der Hürdenlauf war auch fehlerfrei, der Aufstieg in VK 2 schien nur noch eine formale Sache zu sein. Der erste Durchgang im Slalomlauf mit etwas über 26 Sekunden hatte überhaupt nicht funktioniert. Zur Orientierung: Um für den Aufstieg genügend Punkte zu sammeln, sollte dieses Team ca. 16 bis 18 Sekunden laufen.

Zwischen beiden Durchgängen lagen weniger als 10 Minuten, zudem war es noch ziemlich heiß. Also ein enger Korridor, um irgendetwas zu korrigieren. Mit drei, vier Steigerungsläufen und ein paar Linkskreisen als Vorbereitung für Durchgang 2 war der Hund wie ausgewechselt. Das Team verbesserte sich um 10 Sekunden. Am Ende reichte es zum ersten Aufstiegspunkt.

Was war passiert? Das Team hatte die Struktur verloren. Das kann schnell passieren, vor allem bei Anfängern. Struktur meint dabei, dass der Hund sich einordnet, dass er aufmerksam ist, er auf den Hundeführer reagiert und deshalb Richtungswechsel richtig ausführt und das vorgegebene Tempo annimmt. Diese Struktur ist nicht nur von hilfreich beim Trainingsaufbau, auf sie wird ein Hundesportleben lang zurückgegriffen.

In perfekter Stimmungslage läuft der Hund synchron und ohne zu Bedrängen über die Hürden.

Für die Entwicklung dieser Struktur gibt es ein Toolset an Techniken, die je nach Hundetyp und Bedarf eingesetzt wird. Die Urform aller Übungen ist aber der Steigerungslauf. Wird dieser richtig ausgeführt, legt er die Basis für alle anderen Übungen. Gleichzeitig erreicht man dadurch ein Leistungslevel, das die ersten Trainingseinheiten im Hürden- und Slalomlauf zum Kinderspiel werden lassen.

Auch bei absoluten Top-Teams ist der Steigerungslauf das Mittel der Wahl für den Einstieg in jedes Training oder auch bei Wettkämpfen. Jeder Tag bringt neue Überraschungen mit sich und mit den Steigerungsläufen sind wir in der Lage, die Motivationslage des Hundes auf das gewünschte Level zu kalibrieren, um absolute Höchstleistungen abzurufen. Als Nebeneffekt ist es ein wichtiger Teil der notwendigen Aufwärmarbeit.

Sehe ich bei Wettkämpfen Teams, deren Hunde unkontrolliert sind und bedrängen, stelle ich mir immer die Frage, wie würde bei denen ein Steigerungslauf aussehen. Ist ein Hund nicht in der Lage, ohne einen Parcours sauber und stressfrei mit seinem Team-Führer zu sprinten, wie soll das dann Hürden- oder Slalomlauf funktionieren? In jedem Gehorsamsseminar lernt man, dass Übungen zuerst ohne Ablenkung einstudiert werden sollen. In den Sprintdisziplinen ist es nichts anderes.

Ausführung der Steigerungsläufe
1. Bei Steigerungsläufen sollte der Hund kontrolliert, aber frei mitlaufen. Im Gegensatz zur Unterordnung geht es dabei nicht um eine exakte Position, sondern um die Kontrolle spezieller Dynamiken, die abhängig von der Sprintgeschwindigkeit sind.
2. Auch der Hundeführer sollte frei rennen können und vom Hund in seiner Sprintbewegung nicht beeinträchtigt werden
3. Begonnen wird in der Startposition wie wir sie aus den Laufdisziplinen kennen. Die Anspannung des Hundeführers muss für den Hund zu spüren sein. Schafft man es nicht seinen Hund aufmerksam zu machen, muss man zuerst noch an den Grundlagen der Kommunikation arbeiten
4. Das Tempo wird nur so gesteigert, wie der Teamchef das Gefühl hat, dass er seinen Hund im Griff hat. Ansonsten wird das Tempo gleich halten oder sogar leicht reduziert
5. Idealerweise sollte das Tempo bis zum maximalen Sprint über mindestens 20 Meter gehalten werden, bevor es in ein lockeres Auslaufen übergeht
6. Am Ende wird der Hund durch Streicheleinheiten bestätigt. Das kann in der Grundstellung erfolgen. Ist er ruhig, gibt es ein Leckerli
7. Dann erfolgt das Beutespiel. Es ist wichtig, dass es im Training auch freie Elemente gibt, bei denen sich der Hund auspowern darf

Um zu verstehen, auf welche Nuancen es beim Steigerungslauf ankommt, müssen wir auf die unterschiedlichen Hundetypen achten. Denn jeder Hundetyp stellt andere Anforderungen. Die meisten Hund preschen eher nach vorne, bei ihnen ist die Herausforderung, sie unter Kontrolle zu bringen. Auch aufbrausendes Bellen bei schneller werdendem Tempo – meist wenn es in den gestreckten Galopp übergeht – kann ein Signal sein, dass der Hund kurz davor ist, auszubrechen. Dann heißt es Tempo reduzieren. Etwas anderes ist es, wenn ein Hund permanent bellt. In diesem Fall sehe ich keinen Grund für eine Korrektur.

Wir haben aber auch Hunde, die eher behäbig sind. Bei diesen ist die Herausforderung, dass sie gleich vom ersten Schritt an motiviert mitlaufen. Die ersten Schritte erfolgen dann eher im Sprint, sodass der Hund gleich dynamisch mitläuft. Gegebenenfalls wird er anfangs sogar von einer Begleitperson gehalten (zu dieser Person braucht der Hund allerdings vertrauen) und der Hundeführer rennt mit einem Meter Vorsprung los, um den Anspannungsgrad des Hundes zu erhöhen.

Der Hundeführer sollte bei Richtungsänderungen frei laufen können. Eine schöne Bewegung nach rechts steht bei diesem Team einem Bedrängen in der Linksbewegung gegenüber.

Zu diesen zwei Typen gibt es zwei Varianten. Zum einen Hunde, die zusätzlich bedrängen. Das sind Teams, bei denen der Hundeführer beim Überlaufen der Hürden oder im Slalomlauf das Tempo reduzieren muss, weil der Hund den Laufweg blockiert. Wer ohne Parcours nicht ungehindert geradeaus laufen kann, der wird es mit Parcours erst recht nicht können.

Zum anderen gibt es Hunde – ich nennen sie die Ungestümen – die schon bei mittlerem Tempo außer Kontrolle geraten. Hier hilft nur reduziertes Tempo und Geduld. Bevor es an die Parcours geht, sollte der Hund zumindest das Tempo, das notwendig ist, um vom Trab in den Galopp überzugehen, beherrschen.

Ich hatte zuvor schon den Begriff des Kalibrierens verwendet und darauf hingewiesen, dass jeder Tag neue Herausforderungen mit sich bringt. Die Stimmungslage unserer Hunde schwankt, da sind sie uns Menschen ähnlich. Deshalb kann es sein, dass in einem Training schon 2 bis 3 Steigerungsläufe ausreichen, um seinen Hund in die richtige Motivationslage zu bringen und manchmal dauert es deutlich länger. Der große Vorteil ist aber, dass ich dadurch ein Stimmungsbarometer entwickele, das ich auch in der Aufwärmarbeit im Wettkampf anwenden kann.

Der richtig ausgeführte Steigerungslauf ist die Mutter aller Übungen. Dieser allein reicht natürlich nicht aus für eine schnelle und fehlerfreie Ausführung. Deshalb werden in der nächsten Ausgabe weitere Trainingstechniken beschrieben, die ergänzend eine Feinjustierung ermöglichen und die Teams auf ein neues Level anheben können. Und ganz wichtig: Sie geben den Teams die notwendige Struktur, auf die sie Training und Wettkampf immer zurückgreifen können.

Die praktische Umsetzung

Das Training und die Wettkampfvorbereitung in einem Mehrkampf unter leistungssportlichen Gesichtspunkten will ich für die Vorbereitung auf die VDH-DM 2023 im Detail beschreiben. Zwischen dhv-DM und VDH-DM liegen 5 Wochen, ein guter Zeitraum, Dinge nochmals neu zu justieren.

Ziele im Leistungssport

Ziele im Leistungssport müssen ambitioniert sein. Da Leandro in der Jugend in seiner eigenen Liga läuft, ist der direkte Vergleich mit Gleichaltrigen keine Herausforderung mehr. Deshalb wollten wir uns zu Saisonbeginn sukzessive an das Limit herantasten und das Leistungsvermögen ausschöpfen. Als Punktzahl sah ich 285 im Bereich des Möglichen. Nach den 285,53 Punkte zur Jahresmitte bei den swhv-Meisterschaften, haben wir uns für den Saisonhöhepunkt auf neue Ziele geeinigt:

  • Bestätigung der Leistung der swhv-Meisterschafen
  • Möglichst nahe an die Spitze der Aktiven herankommen

Wenn ich schreibe „wir haben uns darauf geeinigt“, bedeutet das, dass das ein beidseitiger Prozess war. Der Sportler muss seine Bereitschaft signalisieren, wo die Reise hingehen soll und welches Engagement er einbringen will.

Aber auch für mich als Trainer geht es um Einsatz, Engagement und Herausforderungen. Erfolgreich am Limit laufen zu wollen ist es für den Trainingsprozess eine ganz andere Herangehensweise, als das Ziel zu verfolgen, die Altersklasse zu gewinnen und über 280 Punkte zu kommen.

Schwerpunkte setzen

Wie schon zuvor geschrieben, besteht ein Mehrkampftraining immer aus Kompromissen. Wieviel Zeit steht grundsätzlich zur Verfügung? Welche Schwerpunkte werden im Training gesetzt? Auf was wird verzichtet bzw. wo nehmen wir uns den Mut zur Lücke? Was kann der Sportler und der Hund an Belastung vertragen und ab wann wird der Bogen überspannt?

Im Fall von Leandro liegt der sportliche Fokus nicht ausschließlich auf dem Hundesport, deshalb war es erforderlich, exakte Antworten auf diese Fragen zu geben. Nur so waren wir in der Lage, das ambitionierte Vorhaben auch realisieren zu können. Sind die Ziele weniger ambitioniert bzw. ist die Lücke zur Zielerreichung kleiner, kann das natürlich auch legerer gehandhabt werden.

Die letzten 5 Wochen vor der VDH-DM wurde unter folgenden Prämissen geplant:

  • Eine Woche vor der VDH-DM war ein 800-m-Lauf geplant, weil Leandro nach 4 Jahren wieder einmal auf der Rundbahn stehen wollte. Das Ziel war, unter die Top 15 in seinem Jahrgang in Württemberg zu laufen. Um das zu realisieren waren drei spezifische (also Tempoläufe auf der Bahn) und drei semi-spezifische Trainingseinheiten (Läufe außerhalb der Bahn) geplant.
    Wir haben also nur auf die Physis von Leandro für den 1.000-m-Lauf gesetzt. Zwei dieser sechs Einheiten wurden vor diesem 5-Wochen-Block absolviert.
  • Das parallele Fußballtraining ersetzte das Sprint- und Ausdauertraining. Auch hier haben wir einen Kompromiss gewählt und auf ergänzendes Training in diesen Bereichen verzichtet.
  • Das Training mit Coco für den 1.000-m-Lauf reduzierte sich auf eine Einheit in abgespeckter Form (3 x 200 m). Wie bereits zuvor skizziert, gaben wird uns damit zufrieden, das Leistungsniveau von Coco in diesem Bereich zu erhalten.
  • Dann hatten wir nur noch sechs Trainingseinheiten mit Hund zur Verfügung, unterteilt in vier Mal Hürdentraining und zwei Mal Slalomtraining. Beides trainieren wir nicht an einem Tag, weil die Trainingsreize sonst nicht verarbeitet werden könnten. Im Umkehrschluss bedeutete das aber auch, dass die Inhalte dieser Einheiten sehr präzise geplant, um den gewünschten Lernfortschritt zu ermöglichen. Bei einem gestandenen Hundeführer ist das deutlich einfacher umzusetzen, als bei einem Sportler, der nicht viel mehr Erfahrung hat, als ein Rookie.
  • Zum Abschluss dieser Trainings wurde in der Regel noch ein paar Hindernisse gelaufen. Hier geht es für Coco nur um die Rhythmusschulung, damit sie die Abstände der Hindernisse auch in hohem Tempo richtig taxiert. Alternativ hat Leandro Steigerungsläufe ohne Hund
    zur Verbesserung der Laufökonomie trainiert.

Anpassung der Schwerpunkte

Im Hürdenlauf war die Wendestange der neuralgische Punkt. Je größer der Bogen nach der Wendestange wurde, desto höher war die Wahrscheinlichkeit an Hürde 4 oder 5 vorzuprellen. Deshalb haben wir viele Sequenzen mit Start an Hürde 2 und 3 gemacht. Im Training klappte das sehr gut, im Wettkampf weniger. Der Grund war, dass der Weg vom Starttor bis zur Wendestange deutlich länger ist als wenn von Hürde 2 oder 3 aus gestartet wird und sie deshalb in einem ganz anderen Rhythmus auf die Wendestange zuläuft. Coco hatte seither aber noch nicht das Trainingsniveau für lange Sequenzen aus vollem Tempo, deshalb hatten wir das gemieden.

Wir haben dann den Aufbau der Trainingseinheiten etwas angepasst, um wenigsten zwei bis drei Durchgänge über 4 oder 5 Hürden hinweg in hohem Tempo durchführen zu können. Allerdings ging das auch auf Kosten einer nicht so exakten Umrundung der Wendestange. Wissend, dass wir diese Aufgabe nicht zufriedenstellend lösen konnten, ging es dann zur VDH-DM.

Dort lief Coco die ersten drei Hürden perfekt mit, die Wendestange war dann nicht aber so eng, wie sie hätte sein sollen. Durch den kleinen Bogen war Coco etwas hinter Leandro. Leandro bremste deshalb zwei Schritte vor Hürde 4 leicht heraus, damit Coco wieder aufschließen konnte. So kam es zum Zielkonflikt, dass Leandro erst wieder beschleunigen musste, während Coco schon im vollen Speed war. Im Endeffekt blieben sie fehlerfrei und liefen mit 12,39 Sekunden die schnellste Zeit aller S-VK und VK. Im höchsten Tempo können solche Kleinigkeiten allerdings gleich eine große Wirkung haben.

Ein weiteres Mal machte uns Ende der KW 39 eine Erkältung einen Strich durch die Planung. Wir entschieden uns, trotzdem den 800-m-Wettkampf zu versuchen. Das ging gründlich daneben und hat im Endeffekt nur Nachteile gehabt. In den zwei drauffolgenden Tagen wurde deshalb auf die geplanten Fußballeinheiten verzichtet, sodass dienstags wenigsten das Abschluss-Training vor der VDH-DM gemacht werden konnte.