Die Olympiasiegerin und Weltmeisterin im Biathlon Denise Hermann-Wick erzählte von den Besonderheiten des Schießens. Es ist ein großer Unterschied, ob im Training allein geschossen wird, in Ruhpolding an der Anlage mit 30 anderen Schützen parallel oder im Wettkampf vor 10.000 Zuschauer. Auch die Anfahrt zum Schießstand variiert bei jedem Wettkampf und der Wind spielt eine Rolle, welcher Schießplatz am besten gewählt wird.

An der Startlinie entscheidet sich, ob das Team der nervlichen Anspannung auch in einem wichtigen Wettkampf gewachsen ist. Dies sollte auf jeden Fall im Trainingsprozess mitberücksichtigt werden.
Diese Erfahrungen lassen sich beinahe eins zu eins auf den Sport mit unseren Hunden übertragen. Mit Ausnahme von erfahrenen Hunden und deren Teamführer, die routiniert ihr Pensum abspulen, haben doch die meisten mit solchen Situationen zu kämpfen. Je unerfahrener ein Team ist, desto größer die Herausforderung. Und auch je höher das Tempo ist, desto größer ist die Gefahr, dass etwas daneben geht.
Unterschiedliche Wege führen hier nach Rom. Ein probates Mittel ist über Wettkämpfe mehr Sicherheit und Routine zu erlangen. Um die Gesamtstruktur in der Vorbereitung aufrecht erhalten zu können, haben wir allerdings auf weitere Wettkämpfe nach der dhv-DM verzichtet. Wir versuchten deshalb, speziellen Reize im Training zu setzen, die ein erhöhtes Anspannungspotenzial simulieren sollten. Allein der Weg zum Start unterscheidet sich deutlich, wenn man den Hund aus kurzer Entfernung entspannt zum Start führt oder von außerhalb des Platzes den Weg zum Startraum auf sich nimmt, den Hund ableint und dann erst in die Startposition geht. Die Anspannung kann zusätzlich gesteigert werden mit einem Startordner, der ein Startsignal gibt.
Solche Abläufe lassen sich aber maximal ein bis zwei Mal je Trainingseinheit simulieren. Denn zu meiner Trainingsphilosophie zählt, dass Läufe mit Hund in hohem Tempo mit entsprechenden Übungen vor- und nachbereitet werden müssen. Sie lassen sich also nicht beliebig oft wiederholen. Auf Grund des engen Trainingskalenders gab es zudem auch keinen Spielraum für zusätzliche Trainingseinheiten, deshalb hatte die exakte Ausführung der relevanten Läufe eine so hohe Wichtigkeit. Doch auch hier kann die Praxis einem einen Strich durch die Rechnung machen.
Für das Abschlusstraining am Dienstag vor der VDH-DM war die komplette Trainingseinheit mit all seinen Sequenzen exakt durchgeplant. Beim ersten schnellen Lauf über vier Hürden war Coco zwar parallel. Wer sich in einem intensiven Trainingsprozess befindet, der konnte antizipieren, dass sie nicht nur die nächsten zwei Hürden nicht mehr parallel gewesen wären, sondern dass die gesamte Struktur an diesem Tag nicht passte. Wie verzichteten deshalb auf weitere Läufe in hohem Tempo und trainierten nur noch stark gehorsamsorientiert. In dem Fall war mir das Absichern des parallelen Überlaufens wichtiger als die Praxis, schnell gemeinsam über die Hürden zu laufen.
Am Wettkampftag selbst versuchen wir die Routinen aus dem Training abzurufen. Für den Aufwärmprozess bei der VDH-DM haben uns dafür über eine Stunde Zeit gelassen. Fester Bestandteil sind dabei Steigerungsläufe, die uns beim Kalibrieren der Stimmungslage helfen. Anschließend machten wir unterschiedliche Übungen über die Hürden. Da der Aufwärmplatz sehr beengt war (nur ca. 20 Meter), mussten wir mehr improvisieren, als uns lieb war.
Der schwierigste Teil ist allerdings der Weg vom Aufwärmplatz bis zum Start. Das ist dann nochmals rund eine Viertelstunde und in dieser Zeit ist es wichtig, die Spannung und Konzentration aufrecht zu erhalten. Selbst Profis in der Leichtathletik können hier [vom Callroom bis zum Start] ihre Nerven liegen lassen.
Ausblick auf 2024
Auch aus schulischen Gründen werden wir die erste Jahreshälfte eher ruhig angehen lassen. Im Training soll eine neue Qualität entwickeln werden sowohl was die Exaktheit der Position im Hürdenlauf anbetrifft als auch in Bezug auf das Ausführungstempo. Mehr Läufe in hohem Tempo sollen Leandro die Sicherheit geben, die richtige Lauftechnik anwenden zu können. Dieses soll dann auch in den Wettkämpfen umgesetzt werden können. Es geht also weniger darum neue Bestzeiten zu erzielen, sondern die beiden sollen vielmehr in einer höheren Konstanz an ihre Bestzeiten heranzulaufen können.
Bei guten Bedingungen (warm, windstill, ebener Rasen) sollte sie so konstanter um 37,0 Sekunden für die drei Stadiondisziplinen erreichen können. Das wäre in etwa der Wert von der VDH-DM 2023. Für weitere Steigerungen in den Stadiondisziplinen und hier vor allem im Hindernislauf, wäre ein spezielles, zeitaufwendiges Sprinttraining erforderlich. Dies werden wir vorerst nicht forcieren.
Das größte Steigerungspotenzial müsste im 1.000-Meter-Lauf liegen, das ein Ziel für die zweite Jahreshälfte sein könnte. Als Vorbereitung auf den 800 m Lauf machte Leandro zum Beispiel eine Tempolaufeinheit auf der Bahn und lief 4 x 300 m in 48 Sek., was einem 2:40-iger Tempo über 1.000 m entspricht. Mit diesen Werten hätte er bei der VDH-DM anstatt 2:45 Min. eher in Richtung 2:35 Min. laufen können müssen. Hier werden wir versuchen, mit einer Umstellung des Trainings das Potenzial besser auszunutzen, indem häufiger Läufe mit Hund im Zug gemacht werden. So soll ein besseres Gefühl entwickelt werden, sich auch bei Läufen mit Hund zu 100 % auszubelasten.

In einigen Bereichen würde ein Know-how-Transfer von der Schwestersportart Leichtathletik den THS enorm bereichern. Bei kaum einem Team sieht man zum Beispiel ein ordentlich geführtes Schwungbein zum Überlaufen der Hürden.
Conclusio
Die Herangehensweise an die Trainingsplanung- und Steuerung habe ich ausführlich beschrieben. Die Umsetzung, also die Inhalte im Detail, sind individuell und werden sich immer unterscheiden. Beispielsweise gewann Leandros Schwester Chiara bei der VDH-DM die Jüngstenklasse (bis 14 Jahre) mit ausgezeichneten 278,33 Punkten. Die Vorbereitung der beiden hätte aber unterschiedlicher nicht sein können, weil sowohl sie als auch ihr Hund Linus ganz andere Voraussetzungen mitbrachten.
Den Blick zu schärfen für das Sinnhafte und Machbare ist eine Schlüsselvoraussetzung für eine erfolgreiche Leistungsentwicklung. Wer sich Ziele setzt und im Training einfach drauf losballert nach dem Motto viel hilft viel, braucht sich nicht wundern, wenn am Ende die Gleichung nicht aufgeht.
Trainingsumfang, Rahmenbedingungen und die Inhalte des Trainings müssen synchronisiert und ausbalanciert sein. Die Herausforderung ist, die einzelnen Puzzlestücke richtig zusammensetzen. Hier gehe ich den ersten Schritt ganz opportunistisch vor:
- Die Bausteine mit dem stärksten Einfluss auf die Leistungsentwicklung haben Vorrang. Es wird also geschaut, wo mit gegebenem Aufwand am meisten Fortschritt erzielt werden kann (Maximalprinzip).
Im zweiten Schritt geht es darum, die Gesetze des Leistungssports zu übertragen auf ein Mehrkampftraining für Hund und Hundeführer:
- Es werden zuerst die grundlegenden Bausteine gefestigt, bevor weitere Bausteine in das Training integriert werden.
- Eine Leistungsentwicklung ist nur möglich, wenn neue Reize gesetzt werden. In der Komfortzone hat sich noch niemand entwickelt. Wer immer auf Sicherheit mit dem Hund trainiert, wird im Wettkampf nie Tempo machen können. Wir challengen uns permanent im Training in dem wir versuchen, die Grenzen – im Rahmen unserer Leistungsfähigkeit – auszuloten.
- Gleichzeitig muss die Gesamtbelastung im Blick behalten werden. Die Regeneration ist ein weiteres Puzzlestück, weil Trainingsimpulse körperlich und kognitiv verarbeitet werden müssen. Das gilt für Mensch und Hund.
- Verletzungen sind in aller Regel keine Zufälle. Die vulnerablen Stellen sollten bekannt sein und das Training ist darauf auszurichten. Ein Training mit Schmerzen und unter Einnahme von Schmerzmitteln sollte auf jeden Fall unterbleiben.