Wie sieht der sportliche Alltag eines gestandenen Hundesportlers meist aus? Die lapidare Antwort: Er geht mit seinem „Alex“ auf den Hundesportplatz, spult dort mehr oder minder motiviert seine Übungseinheiten ab – wenn´s schlimm kommt sogar ohne Traineraufsicht. Seine Erfolgsbilanz: Die zu Ende gehende Saison „war nicht sein Ding“.
Bis zu dem Tag, an dem ihm seine äußerst erfolgreiche Sportfreundin Anja Clever klar macht, dass sie den Komplex „Hundesport“ ganz anders anpackt, sich nicht treiben lässt und nicht auf Zufallserfolge Woche für Woche wartet. Sie hat Ziele im Auge, plant im Team den Erfolg. Als Grundlage für gesicherte Erfolge bringt sie den Begriff „Coaching“ ins Spiel.
Nun ist dieser Begriff in der Wirtschaft aber vor allem bei populären Sportarten (das sind die, die im Fernsehen Woche für Woche vertreten sind) durchaus geläufig. Im weiten Feld „Sport“ wird Coaching in den Zusammenhang mit Leistungssport gebracht.
Zielorientiertes Arbeiten – Selbständiges Erlernen von Handlungsinitiativen
Das zielorientierte Arbeiten und das selbständige Erlernen von Handlungsalternativen des Sportlers stehen beim Coaching im Mittelpunkt. Die große Herausforderung im Hundesport ist, durch Interaktion mit dem Hund Höchstleistungen zu erbringen. Der Hund wird dabei immer ein Partner bleiben, der für unvorhersehbare und überraschende Momente sorgen kann. Deshalb spielen im Hundesport diese Fähigkeiten eine noch viel größere Rolle als in Sportarten, die ohne ein Tier als Partner ausgeübt werden.
Beim Coaching wird der Sportler ganzheitlich betrachtet und nicht nur, wie er sich im Training gibt. Eine ganzheitliche Betrachtung bedeutet auch, das private Umfeld mit einzubeziehen. Es ist die Aufgabe des Coachs, diese Informationen herauszufiltern und in die Trainings- und Wettkampfarbeit einfließen zu lassen. Nur wer auch wirklich aufnahmebereit ist, kann die dezidierten Anweisungen und Ratschläge des Coaches aufnehmen, verarbeiten und anwenden. Ansonsten ist es besser, das Training auf einer weniger anspruchsvollen Plattform zu belassen.
Bei Jugendlichen können zum Beispiel die schulischen Leistungen oder der Wechsel in die Berufsausbildung ebenso eine Rolle spielen, wie eine neue Partnerschaft oder die Trennung von Freund oder Freundin. Bei Sportlern, die im Schichtdienst arbeiten, wird die Leistungsbereitschaft nach einem Nachtdienst eine andere sein, als bei jemanden, der einer geregelten Arbeit nachgeht. Umgekehrt, und mit diesen Fällen sieht man sich leider auch im Hundesport konfrontiert, ist es bei Magersucht – einer Krankheit mit psychischer Ursache. Die Teams sind unheimlich leistungsbereit. Der Wille, durch Bewegung Kalorien zu verbrauchen, überstrapaziert den Körper und die volle Leistungsfähigkeit kann nie ganz erschlossen werden.
Im Zusammenspiel mit dem Hund spielen die taktisch-kognitiven Fähigkeiten (Fähigkeit, sich in Sekundenbruchteilen auf neue Situationen einzustellen) und die Antizipation (Fähigkeit, das Verhalten des Hundes vorwegzunehmen und proaktiv zu handeln) eine bedeutende Rolle. Beide Fähigkeiten lassen sich über einen intensiven Austausch mit dem Coach erlernen.
Der Trainer reagiert oder agiert auf bestimmte Verhaltensweisen des Hundes mit entsprechenden Anweisungen. Der Coach hebt sich vom Trainer dahingegen ab, dass er das Team in die Lage versetzt, unmittelbar auf unvorgesehene Situationen selbständig zu reagieren. Spätestens während des Wettkampfes hat der Trainer nämlich keine Möglichkeit mehr, auf die Übungs-Ausführungen Einfluss zu nehmen.
Damit der Trainier proaktiv Anweisungen geben kann, muss er aber erst einmal selbst die Fähigkeit des Antizipierens aneignen. In der Praxis wird das in der Regel durch das Trial-and-Error-Verfahren (Versuch und Irrtum) erlernt. Es gehört in der Trainingsarbeit auch Mut dazu, eingeschlagene Wege wieder – schnell – abzubrechen, wenn sie nicht den gewünschten Erfolg bringen.
Der Trainer lernt also aus Erfahrung und verfeinert so seine Möglichkeiten der Antizipation. Gefördert wird das ganze durch stetes Hinterfragen. Warum hat der Hund sich so verhalten? Wie hätte der Hundeführer entgegenwirken können? Welches Verhalten wird der Hund beim nächsten Mal zeigen?
Das Erlernen, die Informationen wahrzunehmen und zu verarbeiten ist ein permanenter Prozess des Austauschs, bei dem beide Partner – Coach und Sportler – ihren Teil dazu beitragen müssen. An drei konkreten Beispielen soll dies abschließend erläutert werden.
1. Vorbereitung am Wettkampftag
Die meiste Zeit auf einem Wettkampf verbringt man mit warten. Diese Wartezeit gilt es sinnvoll zu verbringen. Wenn das Team am Start ist, sollten beide Partner in höchster Leistungsbereitschaft stehen. Gerade in der Vorbereitung auf den Gehorsam kann ein Hund durch Spannungsverlust erheblich gegenüber seinen Trainingsleistungen abfallen. Es sind immer Unwägbarkeiten am Ort des Wettkampfes einzukalkulieren. Längere Wartezeiten, das Wetter, die Platzverhältnisse oder Hindernisse in ungewohnter Erscheinungsform sind nur einige Beispiele. Diese gilt es, durch gezielte Ansprache im Vorfeld auszublenden. Daneben ist es wichtig, dem Team Orientierung über die Einschätzung seiner sportlichen Leistungsfähigkeit zu geben. Beides zusammen gibt Sicherheit und Sicherheit gibt Selbstvertrauen. Das ist ein wichtiger Grundstein für einen erfolgreichen Wettkampf.
2. Fehlende Korrektur durch Hundeführer
Am Start zum Hürdenlauf kommt es zu einer längeren Diskussion zwischen Wettkampfgericht und Hundeführer. Der Hund quittiert die fehlende Aufmerksamkeit von seinem Teamführer durch permanentes Bellen. Das Resultat war ein unkonzentrierter Hürdenlauf durch den Hund und Fehlerpunkte durch Vorprellen, in Folge dessen der erste Platz bei den swhv-Meisterschaften vergeben wurde.
Diese Situation ist im Vorfeld nicht planbar. Ich als Coach war in diesem Moment zu weit weg, um nochmals eingreifen zu können. Der Hundeführer hätte aber wissen müssen, dass der Hund so bellend immer schwer unter Kontrolle zu halten ist. Er hätte ihn selbständig nochmals vom Start wegführen und durch eine Kehrtwendung wieder in den Gehorsam setzen müssen.
3. Eigenständige Korrektur durch den Hundeführer
Die Jugendmannschaft des HSV Mühlacker im CSC gewann 2017 die dhv-Meisterschaften. Fünf Wochen später fand die VDH-DM statt. Nur die besten 8 Mannschaften aus ganz Deutschland waren startberechtigt. Der HSVM musste ausschließlich gegen Auswahlmannschaften antreten, trotzdem war es das Ziel, eine Medaille zu gewinnen.
Die Vorläufe waren allerdings ernüchtern. Man schaffte zwar ohne Mühe den Sprung in das Finale, hatte aber nur die viertbeste Gesamt. Zur besten Mannschaft fehlten mit 1,5 Sekunden, obwohl sie auf dem tiefen und regennassen Boden mit 32,05 Sek nur 3/10-Sekunden hinter dem Finalergebnis der dhv-DM lagen.
Das Finale wurde dann im K.O.-System ausgetragen. Im Viertelfinale mussten sie gegen die Auswahlmannschaft des Deutschen Sporthundeverbandes antreten, der zum – positiven – Knackpunkt wurde.
Nachdem die Läuferin gleich an Tor 2 in Sektion ausrutschte rutsche dann ihr Hund beim Zulaufen auf den Frankfurter Kreisel aus. Die Läuferin reagierte blitzschnell, indem sie das Tempo so verlangsamte, dass ihr Hund zum ersten Oxer hin wieder aufschließen konnte. Es war der optimale Kompromiss zwischen den Alternativen „so wenig wie möglich Zeit zu verlieren“ und „keine Fehlerpunkte zu kassieren“.
Die Laufzeit lag bei 33,10 Sek aber war noch entscheidende 4/10 Sekunden schneller, als die der Gegner.
Bei Läufen in maximalem Tempo und dem Leistungsdruck in dieser Situation, ist diese Reaktion keine Selbstverständlichkeit. Die Läuferin war in der Lage, selbständig zu handeln und richtig zu reagieren. Nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern den besten Kompromiss findend.
Im Halbfinale mussten sie dann gegen eine Auswahlmannschaft des DVG antreten, die die Anmeldebesten und Vorlaufstärksten waren. Auf den Punkt fit erreichten sie – trotz der schwierigen Bedingungen – mit 31,00 Sekunden den besten Lauf der ganzen Saison. Diese Zeit konnte selbst die DVG-Auswahlmannschaft nicht schlagen, sie wurden zudem mit 4 Fehlerpunkten belegt.
Im großen Finale waren die Gegner eine Auswahlmannschaft des HSV Rhein-Main. Im letzten Lauf zeigten die HSVM’ler nochmals eine Top-Leistung, auf Grund von zwei kleinen Ausrutschern war die Zeit von 31,47 Sek. etwas schwächer als im Halbfinale und reichte deshalb nicht zum Sieg, da ihre Gegner in 31,14 Sek. ins Ziel liefen. Die Freude war dennoch riesig.
Was sagen uns diese Beispiele? Ohne Einsatz, ohne Konzept, ohne Schaffung eines positiv agierenden Umfeldes kein leistungsorientierter Sport. Oft sind es einfache Dinge, die weiterhelfen. Diese müssen aber trainiert werden. Und gerade im Hundesport gilt es noch mehr als in anderen Sportarten, dass sie Teams eigenständig Entscheidungen auch unter höchstem Druck treffen können. So lassen sich die Anforderungen des Leistungssportes packen.