
Damit der Hund aufmerksam wird, werden häufig Rechts- oder Linkskreise gelaufen. Zu welchem Zeitpunkt welche Variante in welchem Tempo eingesetzt wird, hängt dann von der Trainingsphilosophie ab.
In den letzten 15, 20 Jahren hat sich viel getan in Bezug auf einen strukturierten Trainingsaufbau. Linkskreise, Rechtkreise, Kehrwendungen, Tempowechsel etc. sind nur einige Trainingstechniken aus dem Werkzeugkasten, die heute zum Standard gehören, damit der Hund aufmerksam wird und die gewünschte Position einnimmt. Vor kurzem gab ich ein Interview, in dem mein Training u.a. mit den Attributen Akribie, Analyse und Zielorientierung klassifiziert wurde. Die Beschreibung würde ich unterschreiben, um meine Trainingsphilosophie wirklich zu verstehen muss man etwas weiter ausholen.
Vorneweg: Das gute ist, dass es unterschiedliche Trainingsansätze gibt. Jeder Trainer entwickelt seinen eigenen Stil und am Ende zählt auf dem Platz. Also inwieweit bin ich in der Lage, meine Teams weiterzuentwickeln und diese Entwicklung dann auch im Wettkampf gezeigt werden können. Leistungen nur nach Spitzenergebnissen zu bewerten halte ich für falsch, deshalb umschreibe ich das bewusst mit Weiterentwicklung. Es kann mehr Leistung dahinterstehen, im Vierkampf oder S-VK ein Team von 250 auf 270 Punkte zu entwickeln als ein anderes von 275 auf 280 Punkte. Beispielsweise war die Steigerung von Leandro und Coco im Sprint-Vierkampf von 276 auf 281 Punkte nicht die große Kunst, obwohl die 281 Punkte in der Regel bei jeder Meisterschaft auf das Podest reichen würden. Das erste Ergebnis war ihr erster Wettkampf überhaupt, sich anschließend noch steigern zu können, sollte nicht das große Wunder sein. Das Team dann aber auf 286 Punkte (VDH Meisterschaftsrekord) zu bringen, war eine ganz andere Herausforderung. Hier musste mit viel Akribie gearbeitet werden.
In meinen Augen gibt es zwei grundlegende Ansätze für den Trainingsaufbau. Die einen investieren sehr viel in die Grundlagenarbeit. Es werden sehr viele Wiederholungen trainiert bis das Leistungsniveau gefestigt ist und das Tempo gesteigert wird. Die absolut exakte Position des Hundes hat Priorität vor der Steigerung des Tempos. Bevor die Teams an Wettkämpfen teilnehmen vergeht deutlich mehr Zeit. Ich kenne einige Teams, die später auf Top-Niveau laufen und deren Hunde die Position zum Beispiel im Hürdenlauf so hervorragend halten, dass ich nur staunen kann. In aller Regel sind das allerdings Teams mit sehr viel Erfahrung, die sich größtenteils selbst trainieren.
Ich habe einen anderen Ansatz: Um einen möglichst hohen Trainingseffekt und schnellen Fortschritt zu erzielen, versuche ich meine Teams, immer an ihre Grenzen zu führen. Mein Ziel ist der höchstmögliche Effekt in jeder Trainingseinheit. Die Herausforderung dabei ist, gerade an die Grenzen zu kommen und sie nicht zu überschreiten. Das fordert vom Trainer ein hohes Maß an Antizipationsvermögen, um vorherzusehen, wie sich der Hund im nächsten und übernächsten Durchgang verhalten wird.
Vor kurzem habe ich alte Trainingsvideos aus dem Aufbautraining mit der 18 Monate alten Coco gesichtet, wo in einer Trainingssequenz der Unterschied dieser beiden Trainingsansätze sehr gut verdeutlicht werden kann. Leandro machte zuerst Läufe in Laufschuhe in Submaximalem Tempo. Coco lief wirklich perfekt mit. Anschließend schnürte er sich zum ersten Mal die Fußballschuhe. Nur auf Grund dessen, dass er in den ersten drei Schritten vom Start weg deutlich mehr Druck machen konnte ohne wegzurutschen, war Coco in einer ganz anderen Position. Für einen sensiblen, höchst leistungsbereiten Hund reicht das etwas höhere Tempo am Start bereits aus, das zuvor geübte wie vergessen aussehen zu lassen.
Die einen würden argumentieren, dass die Grundlagen nicht genügend trainiert wurden. Und sie hätten recht mit dieser Feststellung! Da unser Ziel war, in der kommenden Sportsaison die kompletten Meisterschaften mitzunehmen, haben wir uns für einen anderen Ansatz entschieden, den ich im Folgenden genauer ausführen will.
1. An Grenzen führen
Ich versuche in jedem Training die Teams ein Stück besser zu machen. Verbesserungen entstehen immer dann, wenn die Teams an die Grenzen ihres Leistungsniveaus geführt werden. Das ist genauso wie in der Trainingsphysiologie. Die Anpassungen im Körper verlaufen schneller bzw. haben eine höhere Wirkung, je variantenreicher die Stimuli sind.

Fordern ohne zu überfordern: Die noch recht unerfahrene Elly wird mit den etwas höheren Hindernisse Harfe und Tonne deutlich mehr gefordert, wenn das Tempo gesteigert wird.
In der Praxis kann das wie folgt aussehen: Seit rund drei Monaten ist Elly in meiner Trainingsgruppe. Sie ist bereits drei Jahre alt und das neue Familienmitglied von Steffi, die schon einige Erfahrung im Hundesport hat. Da sie etwas weiter entfernt wohnt, trainieren sie nur alle drei bis vier Wochen bei mir. Wir hatten bis dahin also nicht mehr als drei oder vier Mal zusammen trainiert, was es noch etwas schwieriger macht, die Leistungsentwicklung exakt zu taxieren.
Als Einstieg in das Training wählte ich vier Hindernisse im Abstand von acht Metern. Mit Harfe und Tonne waren das zwei eher höhere Hindernisse und mit Reifen und einer dreißig Zentimeter Hürde von den Junghunden zwei eher niedrigere Hindernisse. Zum Einstieg sollten sie drei Durchgänge in lockerem Tempo in unterschiedliche Richtungen laufen. Bei jungen Hunden ist mir wichtig, dass zuerst in kontrolliertem Tempo gelaufen wird, damit der Hund nicht ausbricht.
Anschließend sollte sie das Tempo erhöhen – auch die nächsten zwei Durchgänge waren fehlerfrei. In der dritten Stufe bei hohem Tempo verzögerte Steffi leicht das Tempo an den hohen Hindernissen aus Vorsicht, dass sie ihre Elly überfordern würde. Sie war im Absicherungsmodus – mir war das für das Ergebnis dieser Trainingseinheit allerdings zu wenig. Meine Einschätzung war, dass Elly sich an das verzögerte Tempo von Steffi anpasste, sie aber hätte schneller laufen könnte. Deshalb habe ich sie aufgefordert, auch die hohen Hindernisse ohne zu zögern anzulaufen. Elly kannte dieses Tempo noch nicht, ich traute ihr aber zu, diese Aufgabe zu meistern. Sie kam an eine Grenze, hat diese mit Bravour bemeistert und profitiert dadurch von einem erhöhten Lerneffekt. Das Team ist jetzt ein Stück näher dran, den Hindernislauf mit komplettem Speed zu laufen, anstatt auf einige Zehntelsekunden zu verzichten.
Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit zu überschätzen. In diesem Fall wäre das ein ausgelassenes Hindernis gewesen. Dann ist es wichtig, daraus gleich die richtigen Schlüsse zu ziehen: Wir hätten die Trainingseinheit mit zwei Läufen in ruhigem Tempo abgeschlossen. Das Trainingsziel verfehlt hätten wir nur, wenn wir den Lauf in hohem Tempo wiederholt hätten und Elly ein weiteres Mal ein Hindernis ausgelassen hätte.

Je besser es gelingt, die Teams im Training an Grenzen zu führen, desto höher ist der Trainingseffekt. [Foto: Claudi Vandersee]
2. Chance auf Fehler geben
In der Konstruktion der Übungen versuche ich ergänzend, dem Hund die Chancen zu geben, Fehler zu machen. Das hört sich im ersten Moment verrück an, richtig angewendet kann das aber zum Gamechanger werden. Ich würde es ein wenig mit der Superkompensation aus der Trainingslehre vergleichen.
Eingangs hatte ich von verschiedenen Tools gesprochen, die eingesetzt werden können. Eines davon ist der Tempowechsel. Dazu gehört das Abbremsen vor der Hürde aus vollem Tempo. Wird dieser Vorgang mit einem Links- oder Rechtskreis verknüpft, verändert sich die Laufrichtung und der Hund kann unter normalen Umständen gar nicht vorprellen. Das ist quasi der Absicherungsmodus. Wenn nach dem Abbremsen direkt auf die Hürde zugelaufen wird, verlassen wir den Absicherungsmodus.
In diesem Fall ist es enorm wichtig, dass das Tempo gleichmäßig niedrig bleibt. Unmittelbar vor der Hürde gilt es dann zu beobachten, ob der Hund von alleine beschleunigt oder ob er das Tempo seines Teamchefs beibehält. Wir geben dem Hund also die Chance einen Fehler zu machen. Will der Hund dann tatsächlich beschleunigen, liegt es an der blitzschnellen Reaktion des Hundeführers nicht über die Hürde zu laufen, den Hund zurückzuholen und zu ermahnen. Dieser Vorgang muss innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde entschieden und umgesetzt werden, um einen erhöhten Lerneffekt zu erzielen. Reagiert der Hundeführer zu langsam wurde eine wertvolle Chance zur Weiterentwicklung verpasst.
Wichtig: Die beschriebene Sequenz macht nur Sinn bei Hunden mit gehobenem Leistungsniveau, bei denen nur ab und zu die Position nicht korrekt ist. Bei Anfängerteams wird mit Absicherungsvarianten gearbeitet. Ebenso gilt, dass das Verleiten zu Fehlern sich ausschließlich auf Übungen beschränkt, bei denen ich vom Hund eine bestimmte Position erwarte. In dem zuvor beschriebenen Beispiel mit dem Hindernislauf würde das keinen Sinn machen.

Wenn der Hund im Tor „quer“ steht, kostet das Zeit. Das Üben der richtigen Position ist manchmal ein Geduldsspiel, für das es einen langen Atem benötigt.
3. Übungs-Choreografie
Sowohl das an Grenzen führen als auch die Verleitung zu Fehlern gelingt nur, wenn das Training richtig choreografiert ist. Zum Einstieg in das Training werden Sequenzen gelaufen, um die Stimmungslage und die Aufmerksamkeit des Hundes zu kalibrieren. Je nach Tagesform sind dafür mehr oder weniger Durchgänge notwendig, das ist ganz normal. Wie im ersten Beispiel beschrieben, bereiteten wir das Team Stück für Stück darauf vor, bevor wir es an ihre Grenze geführt haben. Als Einstiegsübung gleich volles Tempo zu laufen, hätte dieses Team überfordert.
Abschließend will ich noch ein Beispiel beschreiben, welcher Effekt erzielt werden kann, wenn die Punkte 1 und 2 miteinander kombiniert werden. Sind wir in der Lage, den Hund in eine Situation zu bringen, wo er einen Fehler macht, wir ihn aber blitzschnell korrigieren können, wird der nachfolgende Lauf fehlerfrei sein, auch wenn die Anforderungen noch weiter erhöht wurden. Auch das klingt ein wenig verrückt.
Stellen wir uns einen Hund vor, der in mittlerem Tempo in sauberer Position läuft, in hohem Tempo an diesem Tag aber spätestens an der zweiten Hürde vorprellen würde. Nach mehreren Durchgängen zum Aufwärmen würde bis zur zweiten Hürde mit Tempo laufen und anschließend wie unter 2) beschrieben abbremsen. Tappt der Hund in die Verleitungsfalle, wird er im nächsten Durchgang drei Hürden schnell ohne vorzuprellen laufen.

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Schon im Junghundealter können entscheidende Grundlagen gelegt werden. Hier ist schön zu sehen, wie die erst 9 Monate alte Coco beim Überlaufen der Hürden Kontakt zu Leandro aufnimmt
Conclusio
Wenn wir in der Lage sind, solche Effekte richtig zu verknüpfen, können wir in Wettkämpfen viel schneller mit guten Leistungen bestehen. Es muss uns nur klar sein, dass das kein Dauerzustand ist. Nach den drei Hürden schnell würde ich das Training mit Durchgängen in ruhigem Tempo oder nur kurzen Tempodistanzen weiterführen. Nochmals die gleiche Sequenz in hohem Tempo würde aller Wahrscheinlichkeit nicht gut gehen.
Weiterhin sollte uns klar sein, dass solche Situationen sich nicht beliebig herstellen lassen können. Sie sind das Ergebnis einer kompletten Trainingseinheit. Bei erfahrenen Hunden, bei denen die Verbesserung nur noch um wenige Prozentpunkte möglich ist, kann es sogar sein, dass so eine Chance sich nur alle drei bis vier Trainingseinheiten bietet. Um die Vorteile dieses Trainingsansatzes verwirklichen zu können ist deshalb – wie eingangs beschrieben – ein extrem akribisch und zielorientiert Arbeiten unverzichtbar.